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    Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine beginnt das „Spiel“ um Öl und Gas – die nächsten drei Jahre werden die „Gewinner und Verlierer“ bestimmen

    Juli 2022

    Die großen Ölschocks der 1970er Jahre haben den westlichen Politikern eine ernüchternde Lektion über die Macht der Energiesupermächte der Welt erteilt. Fünfzig Jahre später wird diese Lektion meines Erachtens erneut gelernt – „the game is on“!

    Russland wehrt sich derzeit gegen die westlichen Sanktionen, indem es die Gaslieferungen nach Europa einschränkt. Die Aussicht auf eine völlige Unterbrechung der russischen Gaslieferungen löst in Europa beinahe Panik aus, da Deutschland und andere große Volkswirtschaften über Energierationierungen in diesem Winter nachdenken. In der Zwischenzeit musste Joe Biden – besorgt und unter Druck gesetzt durch die Benzinpreise im Vorfeld der Zwischenwahlen – seine Wahlkampfrethorik vergessen, Saudi-Arabien als einen Paria zu behandeln. Der US-Präsident reist diesen Monat nach Riad, um an die Saudis zu appellieren, mehr Öl zu fördern.

    Die Lektion scheint mir einfach und entmutigend zu sein. Im Jahr 2022 – wie schon 1973 – sind die wichtigsten Ölproduzenten der Welt wieder im Spiel und können immer noch die größten politischen Mächte der Welt dazu bringen, nach ihrer Pfeife zu tanzen. Aber wenn man über die unmittelbaren Schlagzeilen hinausschaut, ist die Geopolitik der Energie viel komplexer. Russland hat meiner Meinung nach kurzfristig immer noch eine starke Hand, aber seine Position wird sich in den nächsten drei Jahren dramatisch verschlechtern. Amerika hat meiner Meinung nach kurzfristig ein großes Problem, befindet sich aber langfristig in einer starken Position. Meiner Meinung nach hat die EU kurz- und mittelfristig die größten Probleme. Trotz tapferer Reden über Diversifizierung und Dekarbonisierung sind die Europäer noch weit davon entfernt, eine tragfähige neue Energiestrategie zu finden.

    Russland und die EU befinden sich meiner Meinung nach in einem Wettlauf mit der Zeit. Das russische Ziel besteht eindeutig darin, in diesem Winter eine Wirtschaftskrise in Europa herbeizuführen und damit die Unterstützung der EU für die Ukraine zu schwächen. Die ungarische Regierung, die für ihre nachsichtige Haltung gegenüber Putin bekannt ist, drängt bereits auf einen schnellen Waffenstillstand in der Ukraine und begründet dies mit der Gefahr einer wirtschaftlichen Katastrophe. Die Europäer haben nur noch einige Monate bis zum Winter, um sich auf den kommenden russischen Druck vorzubereiten. Aber selbst wenn Moskaus Drucktaktik kurzfristig funktioniert, zerstört Putin meiner Meinung nach langfristig eine der wichtigsten Säulen der russischen Macht.

    Europa hat nun eine bittere Lektion über die Gefahren der Energieabhängigkeit von Russland gelernt und ist entschlossen, sich nie wieder so angreifbar zu machen. Um es klar zu sagen: Vor dem Krieg sah Russland höchstwahrscheinlich 30 weitere Jahre garantierter Öl- und Gaseinnahmen ohne große logistische Hürden vor sich. Jetzt geht es meiner Meinung nach um etwa drei Jahre. Selbst kurzfristig ist die Unterbrechung der europäischen Gasexporte ein gefährliches Spiel für Russland. Noch immer fließen täglich rund eine Milliarde Cures in die russischen Kassen, hauptsächlich aus Europa. Wenn Putin auf diese Einnahmen verzichtet, würde seine Fähigkeit, Kriege zu führen, meiner Meinung nach rapide abnehmen.

    Russland kann natürlich relativ leicht alternative Märkte für sein Öl finden, wie der Eifer zeigt, mit dem Indien und China ihre Einfuhren von preisgünstigem Öl erhöhen. Aber sein Gas wird derzeit über Pipelines gefördert, und die großen Pipelines führen nach Europa. Der Bau neuer Pipelines nach China wird Jahre dauern, so dass Russland bald mit gestrandeten Ressourcen konfrontiert sein könnte.

    Die Ernsthaftigkeit der europäischen Bemühungen, sich aus der Abhängigkeit von russischer Energie zu befreien, lässt sich an den jüngsten Reiseplänen der führenden Politiker ablesen. Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, war zum Beispiel gerade in Israel und Ägypten, um ein neues Gasabkommen zu unterzeichnen. Olaf Scholz, der deutsche Bundeskanzler, besuchte vor kurzem den Senegal und setzte sich für die Erschließung eines neuen Gasfeldes in diesem Land ein. Dies sind meiner Meinung nach alles Bemühungen, die zu spät kommen – es ist erstaunlich, dass es nie einen ‚Plan B‘ gab. Und deshalb bleibt die größte Frage, wie schnell und reibungslos Europa die russische Energie ersetzen kann. Einige hochrangige Vertreter der Energiewirtschaft, darunter auch ich, sind insgeheim skeptisch. Die Situation in den nächsten fünf Jahren wird Europa meiner Meinung nach in eine unangenehme Lage versetzen: Der Bedarf an russischer Energie wird verringert, aber nicht beseitigt, während die Verbraucher mit anhaltend höheren Preisen und die Industrie mit unsicheren Lieferungen konfrontiert sind. Um eine sichere Versorgung zu gewährleisten und sich nicht nur auf den Nahen Osten und politisch instabile afrikanische Länder zu verlassen, muss die EU möglicherweise sogar Ressourcen und Lieferungen aus Malaysia und Indonesien finden, was mit hohen logistischen Kosten verbunden ist. Ob sich die EU auf Lieferungen aus Amerika verlassen kann, bleibt abzuwarten.

    Amerika hingegen befindet sich langfristig in einer viel komfortableren Position, da es Russland bereits als weltweit führenden Energieexporteur abgelöst hat. Höhere Energiepreise sind ein großer Schmerz für die amerikanischen Verbraucher, aber sie sind ein Segen für die amerikanische Schiefer- und Gasindustrie, die noch vor zwei Jahren in großen Schwierigkeiten und hoch verschuldet war.

    Eine Lehre aus dem Ukraine-Krieg ist meiner Meinung nach, dass es für jedes Land gefährlich ist, sich bei der Energieversorgung auf einen geopolitischen Gegner zu verlassen. Amerika ist heute ein großer Nettoexporteur von Energie, während China weiterhin stark von Importen abhängig ist. Doch die amerikanische Produktion allein kann die US-Verbraucher nicht vor den weltweit steigenden Energiepreisen schützen. Amerikas Bestreben, nicht nur Russland, sondern auch den Iran und Venezuela von der Versorgung der Welt mit Öl zu isolieren, hat die Position Saudi-Arabiens gestärkt. Meiner Meinung nach ist es selbst für die USA unmöglich, alle großen Ölproduzenten der Welt gleichzeitig als Paria zu behandeln. Und im Gegensatz zu Russland und Iran ist Saudi-Arabien ein langjähriger Verbündeter der USA.

    Die wahre Bedrohung für die saudische Position ist meiner Meinung nach nicht unbedingt geopolitischer Natur, sondern umweltpolitischer Natur. Die Dekarbonisierung könnte dazu führen, dass die Welt nicht mehr kauft, was die Saudis verkaufen. Kurzfristig jedoch erhöht die durch den Krieg in der Ukraine verursachte globale Energiekrise die Nachfrage nach nicht-russischen fossilen Brennstoffen – einschließlich Kohle, dem schmutzigsten aller Brennstoffe. Deutschland nimmt stillgelegte Kohlekraftwerke wieder in Betrieb, um seine Energieversorgung zu sichern. Und China klammert sich noch fester an seine zuverlässigste Form der heimischen Energieerzeugung – die Kohle.

    Der Einmarsch Russlands in die Ukraine ist zweifellos eine schlechte Nachricht für die Welt. Für den Planeten könnte sie sogar noch schlechter sein.